„Ich hatte es Ihr versprochen“
„ICH HATTE ES IHR VERSPROCHEN“: MICHAEL SCHMIDT PFLEGTE SEINE URSULA BIS ZUM LETZTEN ATEMZUG
Die Geschichte von Michael und Ursula hat kein Happy End. Und dennoch ist es eine Geschichte, die Mut macht. Und die zeigt: Die wahre Liebe, es gibt sie noch. Denn was sich die beiden einst auf dem Remscheider Standesamt geschworen haben, daran hielt sich Michael Schmidt bis zu Ursulas letztem Atemzug im Oktober 2021. Auch wenn sie immer gesagt hat „Das ist doch alles zu viel für dich“, wich er ihr nicht von der Seite. Er pflegte sie bis zuletzt - und gab sich dafür selbst auf. „Man funktioniert dann einfach noch“, sagt er heute.
Ursula Schmidt erkrankte 2014 an Darmkrebs. Die Diagnose stellte ein Remscheider Onkologe. „Das war niederschmetternd“, sagt Michael Schmidt. Die Therapie schlug an - erst einmal. 2017 dann der Rückfall.Sie musste sich mehreren Operationen unterziehen, unter anderem in der Uni-Klinik Essen, dem Westdeutschen Tumorzentrum. Dabei erhielt sie auch einen künstlichen Darm- und einen künstlichen Blasenausgang, Stoma genannt. Immer an ihrer Seite: ihr Mann. Bis zum Frühjahr 2020 konnte die Remscheiderin damit noch einigermaßen gut leben. „Doch dann ging es rapide abwärts“, erinnert sich Michael Schmidt.
Wie man sich als pflegender Angehöriger wirklich fühlt
Er hielt sein Versprechen - und kümmerte sich um sie, wusch sie, versorgte sie. Verließ aber in der Zeit, in den knapp zwei Jahren, kaum noch das Haus. „Wenn ich einmal die Woche einkaufen ging, bevor sie aufwachte, ging ich bewusst zu Fuß zum nächsten Supermarkt - damit ich schnell wieder zu Hause war.“ Nicht auszumalen, er wäre mit dem Auto gefahren und er wäre dann in einen Unfall verwickelt worden - der Gedanke, seine Frau länger als 15 Minuten allein zu lassen, trieb Michael Schmidt die Hitze auf die Stirn. Ständig fühlte er sich gestresst. Freizeit? Treffen mit Freunden? Theater? Fehlanzeige. „Man vergisst sich als pflegender Angehöriger selbst“, sagt er.
Doch er habe alles selbstverständlich gern getan für seine Ursula - versprochen ist versprochen. Hilfe bekam er dann, als die SAPV Remscheid GmbH mit ins Boot kam. Erst mal bestellte die Palliativ-Fachpflegekraft ein Pflegebett - obwohl die Schmidts das erst nicht wollten. Merkten aber schnell: Für Michael Schmidt war das eine Riesenerleichterung. Ebenso als er nachts völlig verzweifelt nach der zweiten Morphingabe beim SAPV-Notruf anrufen konnte, weil er sich nicht mehr zu helfen wusste.
Auch der Ambulante Hospizverein half. Er schickte einmal die Woche eine Ehrenamtlerin. „Ich bin dann schon mal ein Eis essen gegangen“, erzählt Michael Schmidt. „Ich wollte nicht, dass es so aussah, als würde ich kontrollieren.“ Im Endeffekt war es aber auch einfach mal eine kurze Auszeit für ihn. Wenn er heimkam und die beiden Frauen zusammen lachten, wusste er: sich Hilfe zu holen, ist gut.
Wie sich Ursula und Michael kennengelernt haben
Kennengelernt haben sich Ursula und Michael Schmidt in der Tanzschule Liedtke am Ebert-Platz. Sie waren beide um die 20. Er arbeitete als Drogist, sie als kaufmännische Angestellte im Buchhandel. „Es hat sofort gepasst“, erinnert sich Michael Schmidt, und ein liebevolles Lächeln huscht dabei über sein Gesicht. Die Schmidts liebten das Theater, konnten von ihrer Wohnung an der Daniel-Schürmann-Straße quasi in Pantoffeln ins Teo Otto Theater gehen, genossen Konzerte. Sie sammelte Nussknacker und Holzfiguren aus dem Erzgebirge, er entwickelte eine Leidenschaft für die Schlaraffia-Vereinigung.
„Wir haben versucht, uns den Humor nicht nehmen zu lassen.“
Sie bekamen zwei Kinder, wurden stolze Großeltern von zwei Enkeln, lachten viel und gern. „Und das bis zuletzt am Krankenbett“, betont Michael Schmidt. „Wir haben versucht, uns den Humor nicht nehmen zu lassen.“ Doch die Goldhochzeit, die blieb den beiden verwehrt. Ein halbes Jahr vorher starb Ursula Schmidt im Alter von 70 Jahren.
Online-Gruppe für betroffene Angehörige
„Sie fehlt mir heute immer noch“, sagt ihr Mann, der mittlerweile in einer anderen Wohnung lebt. „Aber ich bin dankbar für die vielen Jahre, die wir zusammen hatten.“ Ja, natürlich, habe er einsame Abende. Aber das Ehrenamt, bei dem er viele Menschen treffe, helfe ihm. So zum Beispiel sein Einsatz als Presbyter, als Laiendarsteller bei den „Schirmspitzen“ oder bei der Ilco-Selbsthilfe Remscheid. Hier berät er als Regionalsprecher bereits seit Jahren pflegende Angehörige von Krebserkrankten - und startet nun eine neue Online-Gruppe für das Bergische Land. „Denn das hätte ich mir damals selbst gewünscht.“
„Man vergisst sich als pflegender Angehöriger selbst.“
Pflegende Angehörige sollen hierbei nicht nur ihr Herz ausschütten können, sondern auch zu Tipps zu Pflegeversicherung, Schwerbehinderten-Antrag und Hospizdiensten erhalten. „Vieles davon wusste ich damals selbst nicht“, sagt er und betont: „Sich Hilfe zu holen, ist keine Schande.“
Denn oft sei er damals in den knapp zwei Jahren gefragt worden: Wie geht es deiner Frau? Aber nach seinem Befinden hätten sich die Leute hingegen kaum erkundigt. „Und die gut gemeinten Ratschläge wie ‚Du schaffst das schon, du machst das prima‘ von anderen taugen meist nicht viel“, sagt Michael Schmidt aus eigener Erfahrung.
Krebserkrankungen nehmen zu
Hilfe fand er selbst während der Corona-Zeit bei einer Online-Gruppe der Ilco in Baden-Württemberg. Das Angebot will der 73-Jährige nun auch fürs Bergische Land etablieren, offen für alle Angehörigen von Krebserkrankten. „Wenn ich mich mit Menschen in der gleichen Situation unterhalte, brauche ich meine Situation gar nicht zu erklären. Die anderen kennen das alles. Das ist eine unheimliche Entlastung.“
Denn er weiß aus seiner Erfahrung mit dem Thema: Krebserkrankungen nehmen zu - und die Betroffenen werden immer jünger.
Text von Melissa Wienzek (Erscheinung RGA, Ausgabe 22. August 2024)